Die „Notizen aus Russland
sind ein Ergebnis von fast zwanzig Jahren
Zusammenarbeit mit Institutionen eines Imperiums, das von Widersprüchen und
Gegensätzen geprägt ist. Was westlichen Beobachtern skurril vorkommt, erscheint
Russen normal. Für Andrej Bitow ist „das Absurde die traditionelle, sich
ununterbrochen fortsetzende russische Kultur, die schon immer unter
unvorstellbaren Bedingungen existiert hat. (Die
Zeit, 9.10.2003)
Neunundsechzig Kurzgeschichten schildern
das Land der Extreme aus der Sicht
eines Westlers, der es oft besucht hat, die Sorgen und Nöte der Bewohner ernst
nahm, ihre Eigenheiten und Traditionen akzeptierte. Wenn er in eine fremde Stadt
gelangte oder ein Haus betrat, sagte ihm mitunter eine Vorahnung, es wäre klüger
umzukehren; er hat es nie getan, ist eingetaucht in die andere Welt. Die
Geschichten beruhen bis auf wenige Ausnahmen auf eigenen Erlebnissen und
Beobachtungen. Die ersten spielen in der Sowjetunion, als eine Wende
unvorstellbar schien. Wer Russland begreifen will, muss die Sowjetzeit
berücksichtigen: Sie hat die Mentalität geprägt, hat die Passivität und das
Hinnehmen der Anordnungen von oben verfestigt. Putin weiß, warum er die
orthodoxe Kirche hofiert: In einem Kloster in Burjatien hat eine Nonne 2005
angesichts einer Kirche, die ein Dekabrist als Buße für sein Aufbegehren gegen
die Willkürherrschaft des Zaren erbaut hat, gesagt: Wer gegen die Obrigkeit
aufsteht, erhält die gerechte Strafe. Zwar gibt es bescheidene Ansätze von
Demokratie, aber selten und wenn, sind sie kurzlebig. Eine Geschichte zeigt die
ungebrochene Macht des FSB (früher KGB). Die 'Organe' haben ein langes
Gedächtnis, deshalb wurden Namen geändert.
Die Kunst, jeden Anlass als Grund zum
Feiern zu nehmen, um von der Tristesse
des Alltags abzulenken, bot Gelegenheit, Verhalten zu beobachten. Nicht um die
russische Seele zu erfassen, denn selbst wenn es eine gäbe, wozu den vielen
Deutungen eine weitere hinzufügen? - Es sind lustige, komische, bittere, manchmal
peinliche, selten tragische Geschichten. Die Leidensfähigkeit des russischen
Volkes wurde oft beschrieben, zum Glück vergisst oder verdrängt der Mensch
negative Erlebnisse eher denn heitere. Das Wiener Sprichtwort: ‚Die Lage ist
hoffnungslos, aber nicht ernst! könnte von einem Russen stammen.